Bericht Institutsabend am 25.11.2025

„Anerkennung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Kontext von Diakonie und Kirche – Betroffenen-Beteiligung als Gelingensfaktor“ Mit Beiträgen von Nancy Janz, Monika Memmel und OKR Prof. Dr. Annette Noller

Der diesjährige Institutsabend widmete sich einem Thema, das Diakonie und Kirche weiterhin grundlegend herausfordert: der konsequenten Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und der Frage, wie echte Beteiligung Betroffener gelingen kann. Dass dieser Weg in den letzten Jahren stärker in Fachöffentlichkeit und Wissenschaft angekommen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das Jahrbuch Sozialer Protestantismus 2025 – erschienen vor zwei Monaten bei der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig – sexualisierte Gewalt als Schwerpunkt gesetzt hat und mehrere wissenschaftliche Publikationen dem Thema neue Perspektiven eröffnen.

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Partizipation als Schlüssel: Impuls von Nancy Janz

Den Auftakt gestaltete Nancy Janz, Sprecherin des Betroffenenforums der EKD und Leiterin der Fachstelle sexualisierte Gewalt der Bremischen Kirche. Sie ist selbst seit Jahren in Beteiligungsgremien aktiv und bewegt sich damit an der Schnittstelle zwischen institutioneller Perspektive und Betroffenenperspektive. Genau aus dieser Doppelperspektive beschrieb sie, was Beteiligung in der Praxis bedeutet – und was sie leisten muss, um wirksam zu werden.

Janz stellte die verschiedenen Stufen der Partizipation vor: von reiner Information über Konsultation und Mitberatung bis hin zur Mitentscheidung mit Stimm- und Vetorecht. Diese höchste Form sei im Beteiligungsforum der EKD verwirklicht – und gebe Betroffenen erstmals echte Entscheidungsmacht. Zugleich betonte sie, dass nicht jede Einrichtung alle Stufen anbieten könne, aber jede Institution die ersten drei Stufen glaubwürdig gestalten müsse. Klarheit über Kompetenzen sei dabei zugleich ein Schutz für Betroffene wie auch für Institutionen.

Partizipation müsse, so Janz, flexibel, sicher und niedrigschwellig sein. Sie verändere nicht nur Strukturen, sondern halte Institutionen wach, eröffne neue Wahrheiten und ermögliche Räume, in denen Biografien und Verletzungen ernst genommen werden. Aufarbeitung könne nur gelingen, wenn Betroffene Wege mitgehen und mitbestimmen – nicht am Rand, sondern im Zentrum des Prozesses.

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Wie Prozesse wirksam werden: Beitrag von Monika Memmel

Anschließend erläuterte Monika Memmel, Beauftragte für Prävention und Intervention in der Hilfekonferenz der EKD und Mitglied im Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt der EKD, wie diese Beteiligung auf Prozessebene konkret aussieht. Im Forum arbeiten Betroffene und Fachkräfte paritätisch zusammen, und alle Themen rund um sexualisierte Gewalt werden dort verankert.

Memmel, die bei der Diakonie Württemberg die Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt und die Meldestelle für diakonische Einrichtungen leitet, zeigte exemplarisch, wie Empfehlungen aus der ForuM-Studie in den EKD-Strukturen umgesetzt wurden – etwa die Vereinheitlichung der Anerkennungsleistungen, die zuvor von Landeskirche zu Landeskirche unterschiedlich gehandhabt wurden. Am Beispiel dieses Prozesses wurde deutlich, welche mehrstufigen Wege ein Beschluss durchläuft, bevor er in diakonischen Einrichtungen ankommt: vom Beteiligungsforum über die diakonischen Landesverbände bis hin zu verbindlichen Beschlüssen auf Bundes- und Landesebene.

Ihre Ausführungen machten nachvollziehbar, wie komplex solche Verfahren sind – und wie entscheidend es ist, Betroffene bereits in frühen Phasen einzubeziehen.

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Kulturwandel und theologische Verantwortung: Impuls von OKR Prof. Dr. Annette Noller

Im dritten Impuls richtete OKR Prof. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg und Mitglied der EKD-Aufarbeitungsstrukturen, den Blick auf langfristige Veränderungsprozesse. Sie erinnerte daran, dass in der Diakonie bereits seit 2007 Träger gemeinsam mit Betroffenen Aufarbeitung betrieben haben – lange bevor es eine einheitliche Anerkennungsrichtlinie gab. Dennoch zeigte die ForuM-Studie, dass Anstrengungen nicht automatisch wahrgenommen werden, wenn sie nicht sichtbar gemacht werden. Ein wichtiger Lernprozess sei daher, Betroffenen Raum für ihre Geschichten zu geben und Öffentlichkeit auszuhalten.

Noller betonte, wie sehr Betroffenenberichte institutionelle Räume verändern – und wie notwendig es ist, ihnen mit echter Aufmerksamkeit, Transparenz und auf Augenhöhe zu begegnen. Zugleich wies sie auf offene Aufgaben hin: Viele Einrichtungen hätten bisher kaum Einblick in die Täterstrukturen vergangener Jahrzehnte, insbesondere bei Ehrenamtlichen. Auch hier brauche es Aufarbeitung und verlässliche Verfahren.

Als Theologin verband sie diese Herausforderungen mit grundlegenden Fragen: Wie wirkt Gewalt auf religiöse Sprache und Gottesbilder? Welche theologischen Begriffe werden irreführend oder verletzend verstanden? Und wie kann Liturgie so gestaltet werden, dass Betroffene darin vorkommen und nicht erneut ausgeschlossen werden? Partizipation sei deshalb auch theologisch unverzichtbar.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass diakonische und kirchliche Einrichtungen unterschiedliche Ausgangslagen haben, aber viele ähnliche Herausforderungen teilen: fehlende Sichtbarkeit früherer Prozesse, Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen, strukturelle Blindstellen, die Frage nach angemessener Reaktionsfähigkeit und der Umgang mit Traumafolgen. Immer wieder wurde betont, dass Beteiligung mehr bedeutet als Geldleistungen – nämlich Anerkennung, Zuhören, Gerechtigkeit und das ernsthafte Aushalten dessen, was Betroffene erzählen.

 

Anna Breiter